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  • AutorenbildGreta

Land of Happiness


7. Oktober 2019 - der vollbesetzte A319 der Royal Bhutan Airlines im Landeanflug auf Paro, dem internationalen Flughafen von Bhutan. „International“ ist in diesem Fall eigentlich überflüssig, denn im himalayischen Königreich gibt es eh nur einen einzigen Flughafen. Die Passagiere auf den Plätzen 11A und C kleben förmlich an dem kleinen Bullauge und verfolgen den Landeanflug. Fast eine Viertelstunde schlängelt sich der erstaunlich wendige Airbus mit atemberaubend geringem Abstand durch das Paro Tal.



Ein Tal, dass nur bei guter Sicht, manuell und von extrem erfahrenen Piloten durchflogen werden kann. Der Anflug auf den Flughafen von Paro zählt als einer der Anspruchsvollsten und Gefährlichsten der Welt. Und die Passagiere, die auf 11A und C sitzen (und schwitzen) sind wir. Natürlich müssen wir an unsere Flüge in das nepalische Bergdorf Lukla denken. Zum Glück ist dieses Mal das Flugzeug ein paar Nummern größer und nicht drei Tage nach unserem Flug - wie damals in Nepal - abgestürzt. Bhutan ist besonders, weit weit weg und offensichtlich nicht einfach zu erreichen. Dennoch verlassen wir mit einem breiten Grinsen den Flieger: denn wir sind in einem Land, das in diesem Jahr ganz weit oben auf unserer Wunschliste stand - in Bhutan.



Bhutan, das kleine Königreich im Himalaya. Bhutan, das Land der Glückseligkeit. Selten haben wir so aufgeregt einen Flieger verlassen. Und wir haben viele Fragen im Kopf. Ist wirklich jeder Bürger in Bhutan glücklich und entspannt? Wenn ja - Wie genau machen die Bhutaner das? Können wir vielleicht einfach ein wenig Glück in unsere Dufflebags packen und mitnehmen?



Unsere erste Nacht verbringen wir in Thimphu mit folgender Aussicht von unserem Bett.



Im Schatten der weißen Stupa schlummern wir selig ein. Jedoch nur, für ein paar Minuten. Danach startet draußen ein Jaulkonzert der Straßenhunde. Diese leben in Bhutan mit völliger Selbstverständlichkeit in rauen Mengen auf den Straßen. Denn - jedes Lebewesen - so lernen wir, hat hier das gleiche Recht auf Leben bzw. sein Dasein. Niemand wird vertrieben oder gar getötet. Während unserer Reise halten wir uns ganz vorbildlich an diese Vorgabe. Einzige Ausnahme: die zwei Blutegel, die sich an Jans Bein sättigen wollten. Die Beiden leben nun im buthanesischen Himmel oder der deutschen Hölle.



Nach dem Jaulkonzert folgt gegen 4 Uhr morgens eine mit buddhistischen Mantras lautstark untermalte Polonaise der Einheimischen um die weiße Stupa. Dazu rhythmische Untermalung mit Glöckchen, Trommeln und Entspannungs-Musik vom Band. Wir trauen unseren Augen und Ohren nicht. Haben wir vergessen die Uhr umzustellen? Nein, es ist tatsächlich noch so früh am Morgen.



Wir brauchen einige Tage um zu verstehen, dass Buddhismus in Bhutan weitaus mehr als eine Religion ist. Buddhismus ist eine Lebenseinstellung und die kennt keine Uhrzeit. Das Umkreisen der Stupa, das permanente Murmeln der Mantras, das Drehen der Gebetsmühlen und das Kreisen der 108 Holzperlen in der Hand - ein fester Bestandteil des Lebens in Bhutan.



Was anfänglich noch befremdlich auf uns wirkt, wird mehr und mehr entspannend und klarer. Immer wieder haben wir Begegnungen mit Einheimischen, die uns einfach nur anlächeln und in einer Seelenruhe die Holzperlen in Ihrer Hand kreisen lassen. Ist das das Geheimnis zum Glück? Diese unglaublich tiefe Entspannung, die jeder hier auszustrahlen scheint? Fast schon gespenstisch, wie sie ganz automatisch auf uns abfärbt.



Wir haben das Glück ein traditionelles Festival, das einmal im Jahr stattfindet, miterleben zu dürfen. Trotz Regen harren wir einen ganzen Tag unter unteren großen Regenschirm aus. Wir hatten eine Art bhutanesischen Karneval erwartet. Doch was wir erleben, sind zwar unglaublich kunstvolle Kostüme und Masken, aber vor allem Tänze und Gesänge, die nicht etwa Minuten, sondern Stunden (!) andauern.



Wieder einmal fällt es uns wie Schuppen von den Augen. Wir denken in Minuten und Sekunden, sind ständig überpünktlich, unter Zeitdruck und haben für alles eine genaue Agenda. Hier in Bhutan ticken die Uhren anders. Langsamer, intensiver - eben einfach so lange, wie die Zeit braucht. Bzw. bis all die bösen Geister vertrieben sind. Denn genau darum geht es im jährlichen Festival. Ist das vielleicht das Geheimnis des Glücks? In jedem Fall das Geheimnis zu bedeutend mehr Entspannung im Alltag!



Traditionen - wie das Festival - sind ein fester Bestandteil der bhutanesischen Lebensweise. Mit Stolz trägt jeder Einwohner die traditionelle Kleidung. Im Fall von männlichen Bhutanern heißt dies Rock!



Schon in der Schule tragen die Kinder die traditionellen Gewänder. Egal ob Sommer oder Winter. Beim Besuch einer kleinen Bergschule auf 4500m Höhe kommen wir uns in unseren dicken Outdoorklamotten ganz fremd vor. Umzingelt von kleinen bhutanesischen Jungen in Rock und Kniestrümpfen.



Für gute zwei Wochen trekken wir durch die Ausläufer des Himalayas. Raus aus der Zivilisation - sofern es diese in Bhutan in ausgeprägter Form gibt. Uns zieht es zurück in die Berge. Über 170km, 4 Pässe und Höhen bis zu 5.000m warten auf uns.



Schnell merken wir. Himalaya ist nicht gleich Himalaya. Mit der nepalischen Seite können es die bhutanesischen Berge nicht aufnehmen. Müssen sie auch nicht.



Der Mount Everest und Co. sind nicht umsonst so berühmt wie sie sind. Statt dessen durchwandern wir in Bhutan ganz ohne die Massen auf der nepalischen Seite malerische Täler und queren windige Gipfel.



Und - wir frieren. Zum Glück sind wir mit höhentauglichen Schlafsäcken ausgestattet. Doch minus 12 Grad Innentemperatur im Zelt sind eine Ansage. Da macht die obligatorische nächtliche Pipi-Pause dank der vielen Flüssigkeit, die wir in der Höhe trinken müssen, nur noch begrenzt Spaß.



Wer auf der Suche nach umwerfenden Bergpanoramen nach Bhutan kommt, ist in Nepal definitiv besser aufgehoben. Auch wir waren vielleicht am Anfang ein ganz kleines bisschen enttäuscht, haben aber schnell gelernt, dass eine Reise nach Bhutan vor allem von der Begegnung mit den Menschen vor Ort lebt.



Und - schön ist es in Bhutan trotzdem, oder? Wo frühstückt man sonst mit einer solchen Aussicht...



Unsere Begegnungen in Bhutan beschränken sich übrigens nicht nur auf Menschen. Auf unseren Trekking-Etappen haben uns teilweise für mehr als 20km vierbeinige Bhutaner begleitet. Eigentlich ein Zeichen, dass sich die Vierbeiner ein neues Herrchen bzw. Frauchen ausgesucht haben... aber ein bhutanesischer Hund würde es sicherlich nicht verstehen, dass er plötzlich in Deutschland in einer Wohnung lebt, 3 mal am Tag an der Leine Gassi geführt und mit Trockenfutter gefüttert würde. Den Einklang, den Natur und Tiere hier leben, können wir in Deutschland nicht bieten.



Das Highlight unserer Reise übrigens: der Besuch das berühmten Tiger‘s Nest. Ein buddhistisches Kloster. Hoch in den Felsen gebaut und das Wahrzeichen des Landes. Für zwei Stunden steigen wir in der Morgensonne einen felsigen Berg hinauf, klettern nicht enden wollende Stufen rauf und wieder runter bis wir endlich am Ziel sind. So viel Aufwand für ein kleines Kloster im Berg? Definitiv ja!



Wer nicht selbst da war, kann es sich vielleicht nur schwer vorstellen. Für die Bhuddisten in Bhutan aber der heiligste Ort im Land. Im Kloster lauschen wir gebannt den Erzählungen unseres Guides und dürfen leider keine Fotos machen. Egal, denn wir vergessen Raum und Zeit. Irgendwie ist es tatsächlich ein kleiner, aber ganz besonderer Ort. Ein Ort mit ganz viel „wow!“. Magisch wie die Inka Ruinen in Peru.



Der Abschied aus dem Himalaya soll uns leichter fallen als erwartet. Bei einem Abendessen ziehen wir uns eine Lebensmittelvergiftung zu. Kein Spaß auf einer bhutanesischen Toilette mit nur einer einzigen Rolle Klopapier bis die Rezeption morgens um 6 Uhr endlich wieder erreichbar war... weitere Details ersparen wir Euch.



Die bhutanesische Küche hat uns bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich schwer beeindruckt. Wenig Fleisch, viel Gemüse und vor allem Chillis! Die im Übrigen in unvorstellbaren Mengen ganz einfach auf den Hausdächern getrocknet werden.



Tapfer und dank Imodium Akut können wir dennoch ein wenig Kulturprogramm absolvieren.



Was haben wir im Gepäck als wir nach drei intensiven Wochen in Paro unseren Ausreise-Flug nach Kathmandu boarden? In jedem Fall ein Stück vom Glück, das in Bhutan nicht Wunschvorstellung, sondern Lebenseinstellung ist. Ein bisschen Ruhe, die selbstverständlich Teil des Alltags ist und nicht als Zwangspause in irgendeinem hektischen Alltag eingehalten werden muss. Eine große Portion Respekt, die Prioritäten so zu setzen, wie es das kleine Königreich tut. Der Wert von Natur, Kultur und dem Leben stehen hier höher als die uns nur all zu vertraute Gier nach Erfolg, Geld oder Macht. Bhutan kann uns allen ein Vorbild sein!



Und übrigens: unsere neu erlangte innere Ruhe wurde sogleich auf dem Rückflug nach Kathmandu auf die Probe gestellt. Aus 50 Minuten Flug wurden drei Stunden! Die wir kreiselnd über dem Airport in Nepal, auf Landeerlaubnis wartend, verbracht haben. Bis dem Flieger das Kerosin ausging und wir endlich landen durften.



Greta // 27. Oktober 2019// Kathmandu

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